Systemisch A wie Autopoiese

Systemische Begriffe kurz erklärt

Autopoiese

Jedes Tun ist Erkennen und jedes Erkennen ist Tun. Alles, was gesagt wird, wird von einem Beobachter zu einem anderen Beobachter gesagt.

In der Systemik begegnen wir Konzepten, die unser Verständnis von Leben, Organisation und Wandel grundlegend transformieren. Die Autopoiese (von altgriechisch auto = selbst, poiesis = Hervorbringen/Schaffen) ist das wohl radikalste unter ihnen. Sie beschreibt die Logik lebender Systeme.

Was Autopoiese beschreibt: Die operative Schließung

Autopoiese wurde von den chilenischen Biologen Maturana und Varela (1991) entwickelt, um zu erklären, wie sich lebende von nicht-lebenden Systemen unterscheiden. Ein autopoietisches System ist jenes, das kontinuierlich die Elemente (Komponenten) produziert, aus denen es besteht. Mit dieser ständigen Selbst-Reproduktion erzeugt es gleichzeitig die Bedingungen seiner eigenen Existenz.

Der zentrale Gedanke ist die operative Schließung:

  • Keine externe Steuerung: Das System organisiert seine internen Prozesse vollständig selbst. Es gibt keine Steuerzentrale von außen, die seine Operationen direkt „befehligt“ oder auslöst.

  • Dynamische Identität: Autopoiese ist kein Modell der Stabilisierung (wie die Homöostase), sondern ein Modell des sich selbst erzeugenden Werdens. Es verändert ständig seine Teile, um seine Organisation (die Beziehungen, die es als Einheit definieren) zu wahren.

  • Strukturelle Kopplung: Das System steht in Beziehung zu seiner Umwelt – der Nische. Es nimmt Impulse auf, übersetzt diese aber immer nach seiner eigenen internen Logik. Ein externer Reiz ist keine Anweisung, sondern lediglich eine Irritation, die das System dazu anregen kann, seine eigenen Prozesse neu zu organisieren.

Kurz gesagt: Das System existiert, indem es sich fortlaufend selbst hervorbringt.

Der Beobachter und die Logik des Wandels

Das Verständnis der Autopoiese erzwingt einen radikalen Wechsel der Perspektive hin zur Kybernetik zweiter Ordnung (Heinz von Foerster). Hier wird erkannt, dass der Beobachter Teil des beobachteten Systems ist. Es gibt keine objektive Realität, die von außen gesteuert werden könnte, sondern nur Realitäten, die durch Beobachtung konstruiert werden.

Die Autopoiese schließt also direkte Steuerung aus, was folgende zentrale Frage für die systemische Praxis aufwirft: Wie kann ein:e Berater:in oder Therapeut:in Einfluss nehmen, ohne die Autonomie des Systems zu verletzen? Der Systemiker Heinz von Foerster löste dieses Dilemma mit seinem sog. Ethischen Imperativ auf:

Handle stets so, dass die Anzahl der Wahlmöglichkeiten größer wird.

Die Haltung des Beraters soll darauf abzielen, die Selbstorganisationsfähigkeit des Klientensystems zu stärken.

Für die systemische Praxis bedeutet das: Therapeut:innen oder Berater:innen können keine Veränderungen machen, sondern bieten Irritationen an, die die eigene Lösungskompetenz des Systems freilegen. Die Wirksamkeit liegt darin, durch Fragen und Impulse neue Beobachtungsmöglichkeiten zu eröffnen, damit das System seine eigenen Wahlmöglichkeiten erweitert.

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Beispiel

Disclaimer: Alle Beispiele sind frei erfunden und zum Zwecke der Begriffserläuterung konstruiert. Sie bilden weder die Wirklichkeit noch die Komplexität der menschlichen Psyche ab, da sie einseitig einen Begriff in den Fokus nehmen. Schaubilder wurden entweder eigens für die Fälle erstellt oder inhaltlich maßgeblich verfremdet. 

Situation

Eine Familie sucht systemische Unterstützung, da sie die „Respektlosigkeiten“ des Teenager-Sohnes nicht mehr erträgt. Die Eltern wünschen sich „einfache Werkzeuge“ zur Durchsetzung von Regeln – sie suchen nach einer externen Steuerungsanweisung für ihr operativ geschlossenes System.

Systemische Interventionen

Impulse zur Irritation

Systemische Berater:innen akzeptieren die Autonomie des Systems sondern stellt systemische Fragen, um die familiäre Logik zu irritieren und zu explorieren:

  • Zirkuläre Fragen: „Was würde der Sohn sagen, welche Regel Ihnen am meisten hilft, entspannt zu bleiben?“ (Verschiebung der Ursachenzuschreibung)

  • Skalenfragen: „Angenommen, Sie stehen momentan auf Stufe 3 in Bezug auf das Problem: Was genau tun Sie auf Stufe 3, dass Sie nicht schon auf Stufe 1 abgerutscht sind?“ (Fokus auf vorhandene Ressourcen)

  • Hypothetische Fragen: „Stellen Sie sich vor, Sie hätten in der nächsten Woche gar keine Angst vor den Konflikten mehr: Welche Ihrer Befürchtungen würde sich dann nicht bewahrheiten?“ (Erzeugung einer neuen Option)

Die autopoietische Emergenz

Durch diese systemintern ansetzenden Fragen wird das System angeregt, seine Muster neu zu reflektieren. Im Laufe der Sitzungen bringt die Mutter einen Satz hervor, der das System von innen neu ordnet:

„Wir sind immer dann besonders streng, wenn wir eigentlich nur Angst haben, ihn zu verlieren.“

Dieser Satz ist keine Intervention der Beraterin, sondern eine neue Form, die das System aus sich selbst heraus hervorbringt und die seine eigene Logik neu beschreibt.

Was nimmt die Familie mit?

Die Familie nimmt eine neue Selbstbeschreibung mit nach Hause. Die Kommunikation verschiebt sich weg von der reinen Disziplinierung hin zu einem Fokus auf die Bindung und die Angst hinter der Strenge. Die Regeln bleiben teils bestehen – aber ihre Funktion im System ändert sich durch die gewonnene Erkenntnis. Diese Veränderung ist nicht gemacht worden, sie ist entstanden.

Was Autopoiese uns lehrt – Die Einladung zum Wandel

Das Konzept der Autopoiese lehrt uns eine fundamentale Lektion über persönlichen und organisationalen Wandel: Wahre Veränderung kann nicht oktroyiert werden, sie muss von innen heraus entstehen und die „Zustimmung“ des Systems haben. 

Ihr eigenes System – ob Sie als Einzelperson, als Paar oder als Organisation agieren – besitzt diese enorme Kraft der Selbst-Hervorbringung. Impulse von außen (wie dieser Blogartikel, ein Coaching oder eine Therapie) können eine Irritation darstellen. Aber das System selbst entscheidet, wie diese Impulse in die eigene Logik übersetzt werden und welche neuen Formen dabei entstehen.

Möchten Sie dieses Prinzip der Selbst-Hervorbringung in Ihrem Leben erkunden und die Weichen für die nächste Wende in Ihrem System stellen?

Ich freue mich, wenn Sie mich als Beobachterin und Impulsgeberin Teil Ihres Systems werden lassen, um diesen Prozess der Selbsterzeugung gemeinsam zu erkunden und Ihre Möglichkeiten zu vergrößern.

Herzlich Ihre

Lilly Maus

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