Systemisch Z wie Zirkulär / Zirkuläre Fragen

Systemische Begriffe kurz erklärt

Zirkulär / Zirkuläre Fragen

Jedes Verhalten kann man sowohl unter dem Aspekt seiner Ursachen als auch unter dem seiner Auswirkungen analysieren, wobei diese Auswirkungen wiederum zu den Ursachen für neues Verhalten werden.

Der Begriff „zirkulär“ entstammt dem Lateinischen circulus (Kreis) und bezeichnet im systemischen Kontext das Denken in Wechselwirkungen statt nur in linearen Ursache-Wirkungs-Ketten. Während mono-kausale Erklärungsansätze lediglich fragen: „Was hat dieses Verhalten ausgelöst?“, fragt die systemische Sicht weiter: „Welche Funktion hat dieses Verhalten im Beziehungssystem – und wie beeinflusst es andere?“

So schreiben Fritz B. Simon, Ulrich Clement und Helm Stierlin in der 6., vollständig überarbeiten und erweiterten Auflage ihres 1984 im Klett-Cotta-Verlag in Stuttgart erschienen und 2004 neu aufgelegten Buches „Die Sprache der Familientherapie. Ein Vokabular. Überblick, Kritik und Integration systemtherapeutischer Begriffe, Konzepte und Methoden.„: 

Ein kausaler Ablauf läßt sich geradlinig nennen, wenn keine Rückkoppelung vorliegt, d.h. die Ursache-Wirkungs-Sequenz nicht zum Ausgangspunkt zurückführt. Solche Geradlinigkeit wird im Kausalitätsverständnis der Umgangssprache fast selbstverständlich vorausgesetzt.

Und weiter: 

Das begriffliche Gegenstück zur „Geradlinigkeit“ bzw. „Linealität“ ist die Zirkularität, bei der eine Folge von Ursachen so zueinander in Beziehung stehen, daß auf die Anfangsursache zurückgewirkt wird.

Zirkularität bedeutet also: Jede Handlung kann gleichzeitig Ursache und Wirkung innerhalb eines dynamischen Systems sein. Diese Denkweise stellt eine radikale Abkehr vom monokausalen Denken dar und erklärt Verhalten nicht isoliert sondern im wechselseitigen Beziehungszusammenhang. 

Statt Symptome zu pathologisieren und Klient:innen als defizitär zu etikettieren, liegt der Fokus darauf, Sinnhaftigkeit und regulativen Effekte von Symptomen in den Beziehungen des Klienten erkennbar zu machen.

Neben dieser multi-kausalen Sicht- und Denkweise finden wir Zirkularität in der systemischen Praxis insbesondere in der Technik des zirkulären Fragens.  

Zirkuläre Fragen

Zirkuläre Fragen laden Klient:innen ein, die Perspektive anderer Beteiligter einzunehmen, um neue Einsichten in Beziehungsmuster zu gewinnen. Sie fragen nicht nach dem „Warum“, sondern nach dem „Wie wirkt es auf andere?“ oder „Was würde eine dritte Person beobachten?“.

Beispielhafte zirkuläre Fragen sind:

  • „Was würde Ihre Mutter sagen, wie Ihre Schwester auf Ihr Verhalten reagiert?“

  • „Wie denken Sie, sieht Ihre Partnerin die Situation nach einem Streit?“

  • „Wer bemerkt zuerst, wenn die Stimmung kippt – und wie reagiert diese Person dann?“

Diese Fragen fördern Empathie, systemisches Denken und vor allem: neue Lösungen. Sie machen deutlich, dass Veränderung nicht bei Einzelnen beginnt, sondern im Beziehungsgeschehen.

Was denken Sie, würde passieren, wenn Sie sich selbst durch andere betrachten?

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Beispiel

Disclaimer: Alle Beispiele sind frei erfunden und zum Zwecke der Begriffserläuterung konstruiert. Sie bilden weder die Wirklichkeit noch die Komplexität der menschlichen Psyche ab, da sie einseitig einen Begriff in den Fokus nehmen. Schaubilder wurden entweder eigens für die Fälle erstellt oder inhaltlich maßgeblich verfremdet. 

Situation

Frau K. ist berufstätig, Mutter von zwei Kindern und fühlt sich häufig zerrissen zwischen beruflichem Druck und den Bedürfnissen ihrer Familie. Besonders am Morgen, wenn alle rechtzeitig aus dem Haus müssen und am Abend, wenn sie erschöpft nach Hause kommt, dauert oft nur wenige Minuten, bis ein Streit beginnt. Sie leidet darunter und wünscht sich nichts sehnlicher als einen entspannten, harmonischen Umgang in der Familie: „Ich will das nicht mehr, aber ich weiß nicht, wie ich’s ändern soll.“

Systemische Interventionen

Zirkuläre Fragen zur Situationsanalyse mit Außenperspektive

Um die Situation noch etwas besser zu verstehen und Frau K. die Möglichkeit zu geben, aus einer etwas distanzierteren Perspektive zu berichten, stelle ich eine erste zirkuläre Frage:

Wenn Ihre beste Freundin Susi, die ja auch zwei kleine Kinder hat und ebenfalls berufstätig ist, die Situationen des morgendlichen Haus Verlassens und des Heimkommens am Abend beobachten würde, was würde sie sehen? Beschreiben Sie mal aus Susis Perspektive, was da abläuft.

Ich beobachte, dass der Blick von Frau K. sich nach links oben wendet, sie überlegt – ein innerer Suchprozess beginnt. Nach einer Weile beginnt sie langsam zu sprechen:

Die Außenperspektive

Naja... also morgens würde Susi eine Frau sehen, die wie ein aufgescheuchtes Huhn durch ihr Haus rennt und versucht alles zusammenzusuchen, fertig zu machen und allem gerecht zu werden. Ein Mann und ein größeres Kind, die am Frühstückstisch sitzen und beide das Handy in der Hand halten und ein kleineres Kind, dass der Frau hinterherläuft und auf sie einredet. Die Frau fordert das größere Kind dazu auf sich fertig zu machen aber es reagiert nicht. Sie versucht das kleinere Kind anzuziehen und noch schnell eine Brotbox fertig zu machen. Susi sieht wie die Frau nervös auf die Uhr schaut und das große Kind anmault, es solle sich jetzt endlich anziehen. Das reagiert genervt mit "ich mach ja schon, Du brauchst mich nicht immer gleich so anmaulen". Während die Frau die Brotbox fertig macht, fängt das kleinere Kind an zu quengeln "Mama, komm jetzt!" und weil ihm zu warm ist, beginnt es sich wieder auszuziehen. Die Frau bittet das kleine Kund sich noch noch kurz zu gedulden. Es quengelt weiter "Nein! Ich will jetzt los! Mir ist warm!". Das größere Kind ist zwar aufgestanden hat aber auf dem Weg zur Garderobe einen Ball gefunden und angefangen damit zu spielen und schießt damit dem kleinen Kind an den Kopf. Das fängt nun an zu brüllen woraufhin die Frau ihren Mann anbrüllt: Kannst Du vielleicht auch mal was machen?

Empathisches Einfühlen und Würdigung

Frau K. senkt den Kopf und atmet schwer aus. 

Ich spiegle sie nonverbal indem ich ebenfalls ausatme (siehe auch Joiningund frage sie mitfühlend:  

Und was passiert dann?

Ach, mein Mann fühlt sich dann angegriffen und blafft zurück: "Kein Grund mich anzubrüllen" und wir geraten in einen Streit. Ich werfe ihm vor, dass seine Arbeit immer wichtiger ist er meint das würde nicht stimmen und er habe ja schließlich das Frühstück gemacht...

...und genau diese Situationen will ich nicht mehr. Ich will morgens keinen Streit. Ich will diesen Stress nicht, ich will, dass wir alle entspannt aus dem Haus kommen. Aber egal wie früh ich aufstehe, am Ende entsteht immer dieser Stress.

Nachdem ich die Situation gewürdigt habe und Frau K. vermittle, dass sich das für mich schon beim Zuhören sehr anstrengend anfühlt, lade ich sie mit einer weiteren zirkulären Frage dazu ein, den Problemraum zu verlassen und erste Lösungsideen zu entwickeln.

Zirkuläre Fragen als Einladung in den Lösungsraum

Okay, versetzen Sie sich nun wieder in die Perspektive von Susi. Susi kennt Sie gut, versteht Sie und will das Beste für Sie. Was würde Susi sagen, was Sie in diesen Situationen brauchen?

Na Unterstützung von meinem Mann, ist doch klar!

 – antwortet sie sehr promt. 

Und weiß er das?

Kurze Pause.

Naja... ist doch klar, oder? Das muss er doch sehen?

Ich beantworte die Frage erstmal nicht. Frau K. schaut mich an und meint dann langsam und etwas ungläubig:

Sie meinen... ich sollte ihm sagen, dass ich seine Unterstützung brauche?

Ich sage, dass ich grundsätzlich versuche, nichts zu „meinen“, mich aber frage, ob Susi das für eine gute Idee halten würde und bringe die Wirkmechanismen zirkulären Denkens erneut ins Spiel. Das hilft Frau K. nicht nur ihre eigene Lösung zu finden sondern auch mit etwas Distanz auf sich selbst zu schauen und mit einem weniger in ihren Mustern verhaftetem Gefühl eine Lösung zu akzeptieren, die in ihrem Möglichkeitsraum liegt, auf die sie aber vorher keinen Zugriff hatte weil sie stark mit den Emotionen beschäftigt war, die durch das Muster aktiviert werden (siehe hierzu auch den Beitrag zu Anteilen). 

Frau K. überlegt weiter:

Ja, würde sie vermutlich... sie sagt öfter zu mir, ich sollte mir Unterstützung holen und mir helfen lassen – ich müsse doch nicht alles alleine machen.“

Ich lasse ihr etwas Zeit. Dann frage ich, wie sich das für sie anfühlt.

Sie ist nachdenklich und sagt dann, etwas betroffen, aber auch mit Erleichterung:

Hmm... vielleicht ist das Teil des Problems. Vielleicht liegt es daran, dass es mir so schwerfällt, andere um Unterstützung zu bitten. Ich will immer alles einfach alleine schaffen. Und irgendwann wird es mir dann einfach zu viel.“

Lösungsideen konkretisieren

Ich nicke und schärfe nun nochmal meinen Auftrag für den weiteren Verlauf der Sitzung:

Das ist interessant, dass Sie sagen, Sie wollen ‚immer alles alleine schaffen‘. Möchten Sie das vertiefen oder möchten Sie noch etwas detaillierter überlegen, wie Sie Ihren Mann ganz konkret um Unterstützung bitten möchten?

So sehr Frau K. mit dem Gefühl in Resonanz geht, alles alleine machen zu müssen, so überrascht ist sie, dass dieses Muster ihr in der Situation am Morgen das Leben schwer macht. Sie möchte das in der nächsten Sitzung auf jeden Fall nochmal genauer anschauen, entscheidet sich jedoch dafür, zunächst zu überlegen, wie genau sie ihren Mann um Unterstützung bitten kann. Dabei stellen wir fest, dass sich diese Unterstützungsanfragen auch auf andere Personen und Lebensbereiche übertragen lassen.

Was nimmt Frau K. mit?

Frau K. geht mit einem Blumenstrauß an Unterstützungsanfragen aus der Sitzung und möchte bis zur nächsten Woche ein paar Aufgaben abgeben. Ihr ist bewusst, dass ihr das nicht leichtfallen wird, weil sie entgegen ihres Musters handelt – und dass sich das ungewohnt und beängstigend anfühlen könnte. Aber sie möchte es ausprobieren.

„Und wenn es nicht klappt, dann kann ich ja beim nächsten Mal mit Ihnen daran arbeiten, woran das lag“, meint sie zum Abschluss zuversichtlich.

„Ganz genau“, stimme ich zu. „Ich freue mich auf die nächste Sitzung.“

Wofür sind zirkuläre Fragen gut?

Zirkuläre Fragen sind eine häufig verwendete Intervention in der systemischen Therapie und Beratung. Sie helfen, gewohnte Erklärungsmuster zu durchbrechen und den Blick zu weiten: weg von Schuldzuweisungen, hin zu einem tieferen Verständnis für Beziehungsdynamiken.

Indem sie z.B. dazu anregen, sich selbst aus einer anderen Perspektive zu betrachten – etwa durch die Augen einer Freundin, eines Kindes oder Partners –, fördern sie die Fähigkeit zur Selbstreflexion und stärken eine offene, mitfühlende Haltung für sich und andere. Gleichzeitig zeigen sie auf, wie stark eigenes Verhalten mit dem Verhalten anderer verwoben oder verstrickt ist – und eröffnen dadurch neue Handlungsmöglichkeiten.

Im Beispiel von Frau K. zeigt sich das sehr eindrücklich: Durch die zirkulären Fragen gelingt es ihr, sich aus der vollständigen Identifikation mit ihren Mustern, die in der morgendlichen Stresssituation ihre Wirkung entfalten, zu lösen. Durch die Außenperspektive gelingt es ihr frei von Emotionen wie „Schuld“ und „Versagen“ darauf zu schauen, was sie bräuchte und welche Möglichkeiten sie hat, dafür zu sorgen, dass sie die notwendige Unterstützung zubekommt. 

Kennen Sie Situationen, in denen Sie sich selbst keinen Raum geben und dadurch den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen?

Ich unterstütze Sie indem ich Ihnen einen geschützten Raum biete, in denen es nur um Sie geht. Hier bekommen Sie die Möglichkeit innezuhalten und sich von mir auf der Suche nach Lösungen, die bereits in Ihnen liegen, begleiten zu lassen. Ich begebe mich mit Ihnen auf die Suche nach neuen Perspektiven anstatt nach Lösungen vom Prinzip „mehr desselben“, die das Problem nur verstärken. 

Ich bin fest davon überzeugt, dass Sie und nur Sie wissen, was für Sie richtig ist und ich werde sie hartnäckig dabei unterstützen die Lösung zu finden zu der ihr inneres Team „Ja!“ sagt.

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