Systemisch K wie Konstruktivismus

Systemische Begriffe kurz erklärt

Konstruktivismus

Wer einsieht, dass er seine Wirklichkeit selbst konstruiert, der ist wirklich frei. Er weiß, dass er seine Wirklichkeit jederzeit ändern kann.

Der Konstruktivismus ist eine erkenntnistheoretische Haltung, die davon ausgeht, dass es keine objektive, für alle Menschen gleichermaßen erfassbare Realität gibt. Stattdessen konstruieren Menschen ihre eigene Wirklichkeit durch ihre Wahrnehmung, ihre Erfahrungen und ihre Deutungsmuster. Unsere Realität ist also nicht etwas Gegebenes, sondern etwas individuell und sozial Geschaffenes.

Der Physiker Heinz von Foerster formulierte es treffend: „Die Umwelt, wie wir sie wahrnehmen, ist unsere Erfindung.“ (Foerster, 1988)

Dies bedeutet, dass Menschen nicht einfach eine „objektive Wahrheit“ wahrnehmen, sondern ihre Realität durch Sprache, innere Modelle und soziale Interaktionen erschaffen.

Einen Schritt weiter ging Paul Watzlawick, der den radikalen Konstruktivismus in die systemische Therapie einführte. In seinem Buch „Wie wirklich ist die Wirklichkeit?“ (2005) schreibt er: „Die Überzeugung, dass es eine einzige, objektive Wirklichkeit gibt, ist eine der gefährlichsten Selbsttäuschungen.“

Watzlawick zeigte anhand zahlreicher Beispiele, dass Konflikte häufig dadurch entstehen, dass Menschen glauben, ihre eigene Sichtweise sei die einzig wahre. In der systemischen Arbeit wird daher nicht nach einer „richtigen“ Realität gesucht, sondern nach Perspektiven, die hilfreich sind, um Probleme zu lösen und neue Handlungsspielräume zu eröffnen.

Konstruktivismus in der systemischen Arbeit

In meiner systemischen Praxis arbeite ich mit diesem Ansatz, um Klient:innen dabei zu helfen, ihre eigenen Wahrnehmungsmuster zu hinterfragen und alternative Sichtweisen zu entwickeln. Es geht nicht darum, wer „Recht hat“ oder welche Realität „wahr“ ist, sondern darum, welche Perspektiven hilfreich sind, um persönliche Entwicklung und zwischenmenschliche Verständigung zu fördern.

Die Frage, die sich stellt, ist also nicht: „Was ist wirklich passiert?“, sondern vielmehr:

  • „Welche Bedeutung gebe ich dem, was passiert ist?“
  • „Wie könnte ich diese Situation anders betrachten?“
  • „Welche andere Sichtweise könnte mir helfen, besser mit der Situation umzugehen?“

 

Indem wir diese Fragen erkunden, eröffnen sich neue Handlungsmöglichkeiten.

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Beispiel

Disclaimer: Alle Beispiele sind frei erfunden und zum Zwecke der Begriffserläuterung konstruiert. Sie bilden weder die Wirklichkeit noch die Komplexität der menschlichen Psyche ab, da sie einseitig einen Begriff in den Fokus nehmen. Schaubilder wurden entweder eigens für die Fälle erstellt oder inhaltlich maßgeblich verfremdet. 

Situation

Maria, 42 Jahre alt, kommt in meine Praxis, weil sie sich von ihrer Schwester ungerecht behandelt fühlt. Sie erzählt, dass sie in der Familie immer diejenige war, die Verantwortung übernehmen musste. „Meine Schwester hat sich nie wirklich gekümmert. Ich war diejenige, die sich um unsere Eltern, um die Familie, um alles gekümmert hat. Und dann wirft sie mir vor, ich sei kontrollierend! Das ist doch unfair!“

Systemische Interventionen

Reflektion mithilfe von zirkulären und Skalierungsfragen

Ich lade Maria ein, zu beschreiben, welche Bedeutung sie diesem Verhalten gibt. Für sie ist klar: Ihre Schwester ist bequem und nutzt sie aus. Ich frage sie:

  • „Was bedeutet es für Sie, wenn jemand sie ausnutzt?“
  • „Wenn ich Ihre Schwester fragen würde, wie sie die Geschichte erzählen würde – was würde sie sagen?“

Zunächst zögert Maria. Dann sagt sie: „Wahrscheinlich würde sie behaupten, ich hätte mich immer überall eingemischt.“

Ich frage weiter: „Und würden Sie sagen, dass das stimmt? Auf einer Scala von 1 – 10 was würde Ihre Schwester sagen, wie viel Sie sich einmischen? Und was sagen Sie selbst?“

Maria überlegt und beginnt zu erkennen, dass ihre eigene Sichtweise nur eine mögliche Perspektive ist. Sie beginnt, sich die Frage zu stellen, ob ihre Schwester sich vielleicht bevormundet gefühlt haben könnte.

Öffnung für neue Sichtweisen durch Psychoedukation

Paul Watzlawick beschreibt in seinem Buch „Anleitung zum Unglücklichsein“ (1983) anschaulich, dass Menschen oft in selbsterschaffenen Wirklichkeiten gefangen sind, ohne dies zu bemerken. Ein typisches Beispiel ist die sogenannte „Selbsterfüllende Prophezeiung“: Wer fest davon überzeugt ist, dass andere ihn nicht wertschätzen, wird auf Hinweise achten, die genau diese Überzeugung bestätigen – und gegenteilige Signale ausblenden.

Ich arbeite mit Maria daran, verschiedene Sichtweisen zu erkunden. Sie erkennt, dass sie sich viele Jahre lang nach Anerkennung für ihr Verantwortungsbewusstsein gesehnt hat – und dass sie sich gekränkt fühlt, weil ihre Schwester ihr nicht dankbar ist. Gleichzeitig wird ihr klar, dass ihre Schwester ihr Verhalten vielleicht als Einmischung empfunden hat.

Maria merkt: Wenn sie ihre Sichtweise ändert, verändert sich auch ihre innere Anspannung. Der Ärger weicht einer neuen, differenzierteren Wahrnehmung.

Was nimmt die Klientin mit?

In der Sitzung kommt Maria zu der Erkenntnis, dass es nicht darum geht, wer „Recht hat“, sondern dass jede Person ihre eigene Wahrheit erschafft. Diese Einsicht hilft ihr, sich nicht mehr als Opfer der Situation zu sehen, sondern aktiv neue Kommunikationswege zu finden. Sie entscheidet, ein Gespräch mit ihrer Schwester zu führen – diesmal mit der Offenheit, dass auch ihre eigene Wahrnehmung nur eine Möglichkeit unter vielen ist.

Abschließend Gedanken

Konstruktivismus bedeutet nicht, dass es keine Realität gibt, sondern dass jeder von uns die Realität auf individuelle Weise wahrnimmt. In meiner Arbeit als systemische Therapeutin nutze ich diesen Ansatz, um Klientinnen dabei zu unterstützen, ihre Sichtweisen zu hinterfragen und neue, hilfreichere Perspektiven zu entwickeln. Dadurch entstehen neue Handlungsoptionen und mehr Verständnis für sich selbst und andere.

Haben Sie das Gefühl, dass Sie in einer festgefahrenen Sichtweise gefangen sind? Vielleicht erleben Sie immer wieder ähnliche Konflikte, weil bestimmte Muster in Ihren Beziehungen bestehen bleiben. Oder Sie fühlen sich unverstanden, weil Ihr Gegenüber eine völlig andere Wahrnehmung der gleichen Situation hat.

Indem wir gemeinsam erforschen, wie Sie Ihre Realität konstruieren, können wir neue Perspektiven eröffnen, die nicht nur Ihr eigenes Erleben verändern, sondern auch Ihre Beziehungen entlasten und bereichern.

Lassen Sie uns gemeinsam erkunden, welche neuen Sichtweisen Ihnen helfen können, mit Herausforderungen anders umzugehen.

Lassen Sie uns Ihren individuellen Prozess starten.

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