Virtuell verliebt? Welchen Einfluss hat Dein Bindungsstil?

Über virtuelle Liebe und emotionale Affären Teil 2/3

Virtuell verliebt, Bindungsstile in emotionalen Affären

Enge Bindungen zerbrechen leicht an der Enge der Bindung.

Bindung und Freiheit sind sich in der Liebe kein Feind. Denn Liebe ist die größte Freiheit und doch die größte Bindung.

Sie sind virtuell verliebt oder in einer emotionalen Affäre gefangen? Die wichtigste Botschaft zuerst: Sie sind nicht alleine!

Teil zwei des dreiteiligen Beitrags über virtuelle Liebe und emotionale Affären (Teil 1 finden Sie hier) beschäftigt sich damit, welche Bindungsmuster besonders gut zu virtuellen Beziehungen passen und inwiefern dies Erklärungsansätze dafür liefert, dass bestimmte Menschen eher dazu neigen könnten, eine virtuelle Liebe zu erleben als andere.

Meine Klientin hat in ihrem Prozess für sich herausgearbeitet, dass für sie gerade dadurch, dass physische Nähe nicht möglich war und auch emotionale Nähe nur sehr dosiert aufgebaut werden konnte, ein intensiver Bindungswunsch entstand.

Bindung und Autonomie

Die Bedürfnisse nach Bindung einerseits und Autonomie andererseits gelten als menschliche Grundbedürfnisse und spielen eine entscheidende Rolle in der Entwicklung und im Erleben von menschlichen Beziehungen. Eine gesunde Balance zwischen beiden Bedürfnissen ist entscheidend für das psychische Wohlbefinden und den Aufbau stabiler Beziehungen.

Bindungsbedürfnis

Das Bindungsbedürfnis bezieht sich auf die angeborene Neigung des Menschen, enge emotionale Verbindungen zu anderen aufzubauen. Dieses Bedürfnis entwickelt sich bereits in der frühen Kindheit und ist stark mit der Pflege und Fürsorge der Eltern oder Hauptbezugspersonen verbunden.
Der Psychologe John Bowlby prägte die Theorie der Bindung, die besagt, dass eine sichere Bindung in der Kindheit die Grundlage für die psychische Gesundheit und die Fähigkeit zur Bildung stabiler Beziehungen im Erwachsenenalter bildet.
Das Bindungsbedürfnis umfasst das Verlangen nach Nähe, Geborgenheit, Vertrauen und emotionaler Unterstützung. Es wirkt sich auf verschiedene Aspekte des menschlichen Verhaltens aus, einschließlich romantischer Beziehungen, Freundschaften und sozialer Interaktionen.

Autonomiebedürfnis

Das Autonomiebedürfnis beschreibt das Verlangen nach Unabhängigkeit, Selbstbestimmung und persönlicher Freiheit. Es drückt den Wunsch aus, eigene Entscheidungen zu treffen, Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen und die Individualität zu wahren.

Dieses Bedürfnis entwickelt sich im Laufe des Lebens und zeigt sich erstmalig -mal deutlicher, mal schwächer ausgeprägt- während der Autonomiephase (umgangssprachlich Trotzphase) in der Kindheit. Auch die Pubertät dient der Ablösung von der elterlichen Bindung und der Entwicklung der eigenständigen Persönlichkeit und kann -je nach Bindungsmustern der Eltern und individueller Autonomiebestrebungen- zu mehr oder weniger stark ausgeprägten Konflikten führen.

Allgemein gesprochen streben Individuen danach, ihre eigenen Ziele zu verfolgen und ihre Identität zu entwickeln.
Autonomie bedeutet nicht zwangsläufig Distanz zu anderen Menschen, sondern die Fähigkeit, in Beziehungen gleichzeitig individuelle Bedürfnisse und die Bedürfnisse der Gemeinschaft zu respektieren.

Sowohl Bindungs- als auch Autonomiebedürfnisse sind bei Menschen in unterschiedlichem Maße ausgeprägt und werden durch die frühen Bindungserfahrungen mit Eltern oder anderen Bezugspersonen weiter geformt. Aber auch alle späteren Bindungserfahrungen prägen, wie sicher, unsicher, frei, bedrängt, gehalten, geborgen, angenommen, verlassen, bedroht, vernachlässigt usw. sich Menschen mit sich und in Beziehung mit anderen fühlen.

Warum habe ich mich virtuell verliebt? Ein Erklärungsansatz anhand der Bindungstheorie.

Die Bindungstheorie (englisch theory of attachment) entwickelt von John Bowlby, James Robertson und Mary Ainsworth geht von 4 Bindungstypen aus, die sich im Babyalter im Rahmen der Mutter-Kind-Beziehung entwicklen:

  • Sichere Bindung
  • Unsicher-vermeidende Bindung
  • Unsicher-ambivalente Bindung
  • Desorganisiert/desorientierte Bindung

Ein kritischer Blick auf die Bindungstheorie

Die Bindungstheorie erfreut sich immer noch breiter Beliebtheit, was daran liegen mag, dass sie einerseits relativ einfach zu verstehen ist und es anderseits keine anerkannte Gegentheorie gibt, die sich durchsetzen konnte. Das wiederum mag daran liegen, dass Komplexität und Vielfallt im Kern individueller Bindungsmuster und -verhaltensweisen liegt und es entsprechend schwierig ist, hierzu sinnvoll mess- und auswertbare Konstrukte zu fassen. Dennoch gibt es heutzutage anerkannte wissenschaftliche Erkenntnisse, die mit der Bindungstheorie nicht vereinbar sind wie z.B. die Annahme, dass ein gesundes Bindungsverhalten in jedem Fall und ausschließlich in der Beziehung zwischen Mutter und Kind entsteht, oder dass ein in der frühen Kindheit angelegtes Bindungsmuster statisch ist und im Erwachsenenalter zwangsweise immer die gleiche Wirkung entfaltet. Heute weiß man, dass Väter und auch andere enge und weiter entfernte Bezugspersonen wie Erzieher:innen und Lehrer:innen eine Rolle darin spielen, wie ein Kind Bindung erfährt und für sich konzipiert. Und aufgrund neurowissenschaftlicher Erkenntnisse, wissen wir auch, dass unser Gehirn in der Lage ist bis ins hohe Alter hin neue Erfahrungen abzuspeichern und seine Strukturen zu verändern. Die sog. Neuroplastizität des Gehirns ermöglicht es Menschen sich auch emotional weiterzuentwickeln und neue Bindungsmuster zu etablieren.

Mithilfe der Bindungstheorie besser verstehen, warum Sie sich virtuell verliebt haben

Mit dem Wissen über die Grenzen der Bindungstheorie im Hinterkopf, war es nun dennoch hilfreich für meine Klientin, sich anzuschauen, welcher Bindungsstil sich bei ihr im Kontext ihrer virtuellen Affäre aktiviert hatte. Meine Klientin entdeckte bei sich sowohl Anteile des unsicher-vermeidenden Bindungstyps als auch des unsicher-ambivalenten Bindungstyps.

Unabhängig von der individuellen Geschichte meiner Klientin, scheinen folgende Bindungsmuster in virtuellen Beziehungen besonders unterstützt zu werden:

  1. Ängstlich-ambivalente Bindung: Personen mit einem ängstlich-ambivalenten Bindungsmuster sehnen sich nach Nähe, haben aber auch Angst vor Ablehnung oder Verlust. In virtuellen Beziehungen kann die Unsicherheit und Unverbindlichkeit der Situation diese Ängste verstärken. Die Unsicherheit darüber, wie der andere wirklich fühlt oder welche Absichten er hat, kann die ängstlich-ambivalente Bindung verstärken.
  2. Vermeidende Bindung: Personen mit einem vermeidenden Bindungsmuster neigen dazu, emotionale Nähe zu meiden und sich unabhängig zu fühlen. In virtuellen Beziehungen besteht die Möglichkeit, eine Distanz aufrechtzuerhalten und sich nur selektiv zu öffnen. Die virtuelle Umgebung kann für Menschen mit einem vermeidenden Bindungsmuster attraktiv sein, da sie die Möglichkeit bietet, Nähe und Distanz nach Bedarf zu regulieren.
  3. Unsicher-vermeidende Bindung: Personen mit einem unsicher-vermeidenden Bindungsmuster haben sowohl Angst vor Nähe als auch Angst vor Ablehnung. In virtuellen Beziehungen können sie eine gewisse Kontrolle über die Beziehungsdynamik aufrechterhalten und sich gleichzeitig vor möglichen Verletzungen schützen. Die virtuelle Umgebung ermöglicht es ihnen, vorsichtig Nähe aufzubauen und gleichzeitig einen gewissen Abstand zu wahren.

Den individuellen Bindungsstil als Ressource für eine erfüllende Beziehungsgestaltung nutzen

Wenn Sie sich in einem der beschriebenen Bindungsmuster gefangen fühlen oder einfach besser verstehen möchten, wie Sie sich binden, welche Erfahrungen ihr Bindungsverhalten möglicherweise geprägt haben und wie Sie mit Verlust- oder Bindungsängsten besser umgehen lernen, unterstütze ich Sie gerne in Ihrem Prozess hin zu der Bindung/Beziehung, die Sie sich wünschen.

Dabei ist mir besonders wichtig, dass es nicht darum geht sie gemäß der klassischen, gesellschaftlich am weitesten verbreiteten Beziehungsform „bindungstauglich“ zu machen. Ich halte auch nichts von linearkausalen Ableitungen eines Bindungsverhaltens aufgrund bestimmter Kindheitserfahrungen. Vielmehr geht es mir darum mit Ihnen gemeinsam eine Forschungsreise anzutreten die Sie dabei unterstützt sich selbst besser verstehen und annehmen zu können. Modelle wie die Bindungstheorie oder die Innere-Kind-Arbeit können dabei hilfreich sein, sind aber immer begrenzt und bilden weder Ihren individuellen Erfahrungsraum noch ihre Wirklichkeitskonstruktion ab.

Darum schauen wir gemeinsam was sie sich wünschen, wie Sie sich binden möchten und welche Rahmenbedingen erfüllt sein müssen, damit Sie in Ihrer Beziehung zufrieden sind. Wie diese Beziehung schlussendlich aussieht, wieviel Nähe und Distanz es gibt, wie offen sie ist und mit wie vielen Menschen Sie eine enge Bindung eingehen möchten, entscheiden Sie.

 

Herzliche Grüße Ihre

Lilly Maus 

Selbstverantwortlich.
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