Virtuell verliebt: warum kann ich nicht loslassen?

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Warum kann ich nicht loslassen

Loslassen ist ein Prozess, kein Ereignis. Aber es kann viele Ereignisse in Gang setzen.

Wir müssen das Leben loslassen, das wir geplant haben, damit wir das Leben leben können, das uns erwartet.

Im letzten Teil der dreiteiligen Serie geht es um das Loslassen. Loslassen – das klingt gar nicht so schwer, ist aber bei emotionalen Themen oft ein langwieriger Prozess – und nicht, wie das Wort vermuten lässt, ein einmaliger Akt. Und es ist meist alles andere als einfach. Einen Gegenstand loszulassen – z.B. einen mit Gas gefüllten Luftballon oder einen Stein, den wir von der Spitze eines Turms in die Tiefe fallen lassen, um zu hören, wie lange er braucht, bis er unten aufschlägt – ist noch relativ einfach. Aber auch hier bedarf es einer Entscheidung und einer Handlung, nämlich die Hand zu öffnen. Und dann schauen wir vielleicht dem Ballon oder dem Stein hinterher und warten gespannt auf das Geräusch des Aufpralls oder schauen ein wenig sentimental in den Himmel, bis unsere Augen den kleinen Punkt verlieren, der immer höher und weiter von uns weg steigt. Und auch danach fragen wir uns vielleicht, ob der Stein beim Aufprall wohl zerbrochen ist, ob wir den Turm hinunterklettern und nachsehen sollen, ob wir ihn aufheben und wieder hinunterwerfen oder in die Jackentasche stecken sollen oder ob er – hoffentlich – jemand anderem auf den Kopf gefallen ist. Und der Luftballon… wird er in einen Sturm geraten und erfrieren? Oder wird er irgendwann sinken und von jemand anderem gefunden werden? Wird er dann schrumpfen oder sich in einem Baum verfangen und noch eine Weile im Wind flattern?

Physisch haben wir in diesem Prozess ziemlich schnell losgelassen. Aber solange wir in Gedanken noch mit dem Stein oder dem Luftballon beschäftigt sind, ist der Prozess des Loslassens noch nicht abgeschlossen. Und die Gefühle, die dabei in uns aufsteigen, können immer wieder auftauchen, auch wenn wir schon lange nicht mehr an den Stein oder den Luftballon gedacht haben.

Emotionen loslassen

Wir sehen also, dass Loslassen schon dann keine einfache Angelegenheit ist, wenn es sich um physische Gegenstände und einmalige Handlungen in Form einer Bewegung handelt. Abstrakte Dinge wie Gefühle oder Vorstellungen, Denkmuster oder Glaubenssätze loszulassen, ist ein hochkomplexer und absolut individueller Prozess. Deshalb gibt es auch kein Patentrezept, keine konkreten Schritte, keine definierten Zeitvorgaben und all die Dinge, die wir sonst als Lösungsstrategien haben, wenn wir im Alltag Situationen meistern und Probleme lösen.

Loslassen im virtuellen Kontext

Bezogen auf den konkreten Fall der virtuellen Liebe meiner Klientin kommen noch weitere Faktoren hinzu, die den Prozess besonders herausfordernd machten: Eine Liebe loszulassen, die sich hauptsächlich im eigenen Kopf abspielt, da sie ausschließlich auf mentalen Prozessen und weniger auf realen, körperlichen Erfahrungen basiert, ist noch abstrakter als eine Liebe, die im realen Leben stattgefunden hat, mit physischen Ankerpunkten, die man lösen könnte. Der physische Akt des Loslassens kann nicht stattfinden. Es gibt keinen physischen Abschied, keine Veränderung von bisher geteilten Ritualen, keine Auflösung von gemeinsam genutzten Räumen, keine anderen Veränderungen im Alltag, die zwar oft unangenehm sind, aber für das Gehirn wichtige Signale für die Verarbeitung der Trennung enthalten.

Entsprechend den im ersten Teil dieser Serie genannten Faktoren, die die Intensität positiver Gefühle verstärken, können sich beim Loslassen einer virtuellen Liebe auch negative Gefühle verstärken. Auch hier gibt es keinen Realitätscheck und wir sind auf das beschränkt, was unser Gehirn uns als Erfahrung anbietet. Aufgrund der Negativitätsvoreinstellung (Negativity bias) unseres Gehirns und der Tatsache, dass in der Phase des Liebeskummers einiges im Gehirn durcheinander gerät (siehe dazu meinen Blogbeitrag „Liebeskummer und Depression: Das große Gefühlschaos im Gehirn“), bietet uns unser Gehirn leider genau dann, wenn wir am dringendsten positive Gedanken bräuchten, als Default (also automatisch) genau das Gegenteil an. Es konfrontiert uns ständig mit einem Worst-Case-Szenario nach dem anderen und gibt uns das Gefühl, nur die Wahl zwischen Pest und Cholera zu haben. Das kann dazu führen, dass wir uns vermeintlich lieber gar nicht entscheiden. Das ist aber in Wirklichkeit nicht gut für uns und für die Wiedergewinnung eines positiven Lebensgefühls. Denn genauso wie „keine Antwort auch eine Antwort ist“, ist „keine Entscheidung auch eine Entscheidung“. Wenn wir uns entscheiden, nichts zu tun, dann wird sich – aller Wahrscheinlichkeit nach – auch nichts ändern. Zumindest haben wir keinen Einfluss darauf, ob und wann sich etwas ändert, was das Gefühl der Handlungsunfähigkeit verstärkt und uns in einer Opferposition verharren lässt. Die Entscheidung, eine (unerfüllte) Liebe loszulassen, fühlt sich nicht wie ein Befreiungsschlag an, ist aber die einzige Möglichkeit, das eigene Leben in die Hand zu nehmen.

Trennungen als Trigger für alte Verletzungen (Traumata)

Allen Trennungen, ob virtuell oder real, ist gemeinsam, dass sie nicht nur den Schmerz über den Verlust des geliebten Menschen an die Oberfläche bringen, sondern uns meist stellvertretend all den Schmerz, den wir noch nicht verarbeitet haben, noch einmal durchleben lassen. Dadurch wird der Schmerz möglicherweise um ein Vielfaches verstärkt, wir fühlen uns – wie damals – hilflos und ohnmächtig und sind nicht in der Lage, sinnvolle Entscheidungen zu treffen. Genau genommen sind wir nicht in der Lage, mit dem Teil unseres Gehirns zu entscheiden, der dafür gut geeignet ist – dem präfrontalen Cortex. Stattdessen entscheiden wir „aus dem Bauch heraus“ oder emotionsgesteuert aus dem Lymbischen System. Leider führt das im Außen meist nicht zu den gewünschten Ergebnissen und wir erzeugen mit unserem Verhalten meist die Reaktionen, vor denen wir uns am meisten fürchten. Streng genommen reproduzieren wir alte Verletzungen und Traumata so lange, bis es uns gelingt, aus diesem Muster auszusteigen. Dabei können wir aber nicht auf unsere gewohnten Lösungsstrategien zurückgreifen, sondern müssen uns quasi „neu erfinden“. Das ist die Chance, die bekanntlich in jeder Krise steckt. Wir brauchen keine Krise, um uns zu verändern, aber wenn wir eine Krise so meistern, dass wir sie im Nachhinein mit Dankbarkeit betrachten, dann geht das nur, indem wir uns verändern. Indem wir die Traurigkeit annehmen, indem wir lernen, uns mit unseren Verletzungen anzunehmen, indem wir unseren Horizont erweitern, indem wir alte Glaubenssätze auflösen und loslassen, indem wir neue neuronale Verknüpfungen in unserem Gehirn herstellen, auf die wir dann bei zukünftigen Herausforderungen als Lösungsstrategie zurückgreifen können. Nein, es ist nicht einfach, aber es lohnt sich.

Wie Sie den Prozess des Loslassens unterstützen können

Um eine virtuelle Liebe loszulassen, die sich hauptsächlich in unserem eigenen Kopf abspielt, ist es wichtig, sich bewusst zu machen, dass die Beziehung nicht auf realen Erfahrungen und Interaktionen basiert, sondern noch mehr als bei jeder „normalen“ Verliebtheit eine Projektion der eigenen Sehnsüchte, Bedürfnisse und Wünsche auf die andere Person darstellt. 

Nach diesem ersten notwendigen Schritt ist es wichtig, das Gehirn dabei zu unterstützen, alle Prozessschritte zu durchlaufen, die Trennungen normalerweise mit sich bringen: 
 
  1. Es ist wichtig, sich wieder auf die eigenen Bedürfnisse und Interessen zu konzentrieren, bewusst Handlungen in den Alltag einzubauen, die einem normalerweise gut tun. Dabei sollte man nicht warten, bis man Lust auf die jeweilige Handlung oder Aktivität hat, sondern auch dann damit beginnen, wenn das aktuelle Befinden eher dagegen spricht. Nur so kann der Teufelskreis negativer Erfahrungen durchbrochen werden.
  2. Veränderung ist notwendig! Die meisten Menschen stehen Veränderungen skeptisch gegenüber, weil das menschliche Gehirn aufgrund des Negativity bias (siehe oben) in unbekannten Situationen eher die Risiken als die Chancen sieht. Je mehr Veränderungen von außen aufgezwungen werden, desto eher entstehen Ängste oder innere Widerstände. Aber wie schon Albert Einstein wusste: „Die reinste Form des Wahnsinns ist es, alles beim Alten zu lassen und zu hoffen, dass sich etwas ändert“. Unser Gehirn mag Veränderungen auch deshalb nicht, weil es keine Standardverfahren dafür hat und sich entsprechend mehr anstrengen muss. Aber nur so können neue Erfahrungen gemacht werden, neue neuronale Verknüpfungen entstehen und alte Verknüpfungen lösen sich. Letztlich geschieht das Loslassen im Kopf genau so: Alte neuronale Verknüpfungen werden schwächer, weil neue Verknüpfungen stärker werden.
  3. Neben den äußeren Veränderungen, die uns automatisch auf neue Gedanken bringen, kann es zusätzlich hilfreich sein, bewusst neue Gedanken zu denken. Auch dies geschieht nicht „einfach so“. Hier gibt es verschiedene Techniken (z.B. Gedanken-Download, Kognitive Restrukturierung, Diary Card nach Linehan, The Work nach Byron Katie u.v.m.), mit denen man sich am besten schriftlich mit den eigenen Gedanken auseinandersetzen und neue, alternative Gedanken identifizieren kann, die hilfreicher sind als die automatischen „alten“ Gedanken.
  4. Im Prozess des Loslassens geht es immer auch darum zu schauen: Was halte ich eigentlich fest? Ist es das Gefühl der Verliebtheit, das so schön und intensiv war? Ist es die vermeintlich letzte Hoffnung auf die Erfüllung eines Lebenstraumes (Kinder, Haus, noch einmal richtig lieben) oder nicht mehr allein zu sein, die Angst vor der eigenen Vergänglichkeit, die Sehnsucht, die Verantwortung für die eigenen Gefühle abgeben zu können, der Wunsch nach Wiedergutmachung für die Versäumnisse der Eltern, nach Bestätigung des eigenen Wertes, nach Ablenkung… Was macht es so schwer loszulassen? Was war das Versprechen, das die Liebe zu einem anderen Menschen gegeben hat und das nun nicht gehalten werden kann? Hier ist es wichtig, ehrlich zu sich selbst zu sein und den Hintergründen der eigenen Gefühle auf die Spur zu kommen. Da wir hier oft blinde Flecken haben, bringt der Blick von außen oft erst die notwendigen Erkenntnisse.
  5. Last but not least kann es wichtig und hilfreich sein, in einer ritualisierten Form Abschied zu nehmen. Auch hier gibt es verschiedene Rituale und Prozesse, vom Schreiben eines Briefes, der dann verbrannt wird, über das Vergraben eines symbolischen Gegenstandes bis hin zum Pflanzen eines Baumes, der für das steht, was sich nun neu entwickeln kann. 

Wenn es Ihnen schwer fällt, alleine neue Impulse zu setzen und die Trennung zu verarbeiten, kann es hilfreich sein, bei den ersten Schritten an die Hand genommen zu werden. Gemeinsam können wir erarbeiten, was für Sie hilfreich ist und Sie können sich alles von der Seele reden und müssen Ihren Schmerz nicht alleine verarbeiten. Freunde und Verwandte sind in dieser Phase oft gute Begleiter:innen, aber Trost und gut gemeinte Ratschläge sind in dieser Phase nicht immer hilfreich.

Ich unterstütze Sie gerne in Ihrem individuellen Prozess des Loslassens. Ich helfe Ihnen, neuen Mut zu fassen, alte Verletzungen zu verarbeiten und das Ende der Beziehung zu akzeptieren und zu verstehen – auch oder gerade dann, wenn die Beziehung rein virtuell und emotional war.

Herzliche Grüße Ihre

Lilly Maus 

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