Systemisch R wie Reflecting Team

Systemische Begriffe kurz erklärt

Reflecting Team

Keiner von uns ist so klug wie wir alle.

Das Reflecting Team ist eine Methode aus der systemischen Therapie und Beratung, die auf die Arbeit von Tom Andersen zurückgeht. Sie basiert auf der Idee, dass Menschen durch das Lauschen anderer Perspektiven neue Zugänge zu sich selbst und zu ihrem Thema gewinnen können – besonders dann, wenn sie diese Gedanken zunächst nicht kommentieren oder bewerten müssen.

In einer Sitzung mit Reflecting Team arbeiten zunächst Klient:in(nen) und Therapeut:in im gewohnten Beratungssetting zusammen, während zwei oder mehr therapeutisch geschulte Personen zuhören. Zu gegebenen Zeitpunkten schaltet die Therapeut:in nach Rücksprache mit dem Klient:innensystem das Reflecting Team ein. Dabei ziehen sich Klient:innen und Therapeut:innen aus der aktiven Rolle zurück und hören zu, während das Reflekting Team laut, wertfrei und ohne direkte Ansprache alternative Sichtweisen und Hypothesen zu einem Beratungsprozess entwickelt. Wichtig ist: Es wird nicht über Klient:innen geurteilt und es werden auch keine Ratschläge gegeben. Das Reflekting Team spricht das Beratungsteam nicht direkt an, sondern tausch sich offen, respektvoll und neugierig über das gehörte aus. Danach können die Klient:innen – wenn sie möchten – aufgreifen, was für sie stimmig war.

Die Methode ermöglicht es, aus festgefahrenen Problem-Erzählungen (Narrativen) auszusteigen und neue Impulse aufzugreifen. Das Zuhören ohne Reaktionsdruck kann  entlastend und aktivierend zugleich wirken und Klient:innen in ihrerem Autonomieempfinden stärkt – sie wählen und entscheiden selbst, was sie aus den Reflexionen mitnehmen wollen.

Beispiel

Disclaimer: Alle Beispiele sind frei erfunden und zum Zwecke der Begriffserläuterung konstruiert. Sie bilden weder die Wirklichkeit noch die Komplexität der menschlichen Psyche ab, da sie einseitig einen Begriff in den Fokus nehmen. Schaubilder wurden entweder eigens für die Fälle erstellt oder inhaltlich maßgeblich verfremdet. 

Situation

Anna und Jonas, beide Mitte 40, sind seit 15 Jahren ein Paar und Eltern zweier Kinder. Sie kommen in die Paartherapie, weil sie sich innerlich voneinander entfernt haben. „Wir funktionieren gut im Alltag, aber die Nähe ist irgendwie verloren gegangen“, sagt Jonas. Anna ergänzt: „Früher konnten wir stundenlang reden, heute schaffen wir es kaum noch, uns wirklich zuzuhören.“

Wir sprechen über Alltag, Muster, Verletzungen – das Übliche, möchte man fast sagen. Sie sind reflektiert, zugewandt, wollen etwas verändern. Aber irgendwie scheinen die beiden festzustecken.

Systemische Interventionen

Einsatz des Reflecting Teams

Nach ca. 30 Minuten lade ich das Reflecting Team – bestehend aus zwei Kolleginnen – ein, laut über das Gehörte nachzudenken. Anna und Jonas hören zu. Ohne Fragen beantworten zu müssen. Ohne in Abwehr gehen zu müssen.

Eine Kollegin sagt:
Ich war berührt davon, wie beide beschrieben haben, was ihnen fehlt. Es klingt für mich so, als ob sie im Kern etwas sehr Ähnliches vermissen.

Die andere ergänzt:
Mich hat die Beschreibung der Routinen im Alltag nachdenklich gemacht. Ich frage mich, ob in diesen Routinen nicht auch eine tiefe Fürsorge steckt, die sie einander vielleicht gar nicht mehr als Ausdruck von Nähe zurückspiegeln.

Ich beobachte währenddessen, wie Anna und Jonas sich gegenseitig anschauen. Keine Tränen, aber feine Regungen in ihren Gesichtern. Manchmal ist es leise, was sich etwas bewegt.

Integration in den Prozess

Nach der Reflexion frage ich Anna und Jonas, ob etwas dabei war, das für sie von Bedeutung war. Jonas nickt: „Ich hab nie darüber nachgedacht, dass das frühe Aufstehen und das Frühstück machen vielleicht auch ein Liebesbeweis von Anna an mich ist.“ Anna schmunzelt. „Ich schon. Aber ich dachte, er hält das für selbstverständlich.“

In den kommenden Sitzungen arbeiten wir mit diesen feinen Impulsen weiter. Es geht nicht um „die Lösung“, sondern um das gemeinsame Wiederentdecken von Resonanz. Das Reflecting Team war dabei ein wichtiger Türöffner.

Manchmal braucht es nicht viel – ein neuer Gedanke, ein anderer Tonfall, ein Satz zur richtigen Zeit kann etwas ins Schwingen bringen. 

In meiner Arbeit kommt das Reflecting Team selten zum Einsatz, da Therapiesitzungen in der Regel als Paar- oder Einzelsitzung stattfinden. Im Rahmen eines laufenden Prozesses kann auf Anfrage eine entsprechende Sondersitzung geplant und organisiert werden. 

Aber auch ohne Reflecting Team gibt es zahlreiche systemische Interventionen, die Ihnen neue Perspektiven öffnen, ohne vorschnelle Antworten zu geben. Denn Veränderung beginnt manchmal genau dort, wo wir beginnen, anders zuzuhören.

Lassen Sie uns Ihren individuellen Prozess starten.

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