Systemisch R wie Ressourcen bzw. Ressourcenorientierung
Systemische Begriffe kurz erklärt

Jeder Mensch hat alle Ressourcen für Veränderung schon in sich, er muss diese nur (wieder) entdecken und – ganz wichtig – spüren!
Gunther Schmidt
Gerade in Krisenzeiten, bei starkem Stress oder nach einem einschneidenden Erlebnis (Trennung, Verlust, Kündigung), brauchen wir unsere Ressourcen am dringendsten. Doch genau dann hat es den Anschein, als litten wir unter einem spontanen Verlust von Kompetenzen. Gefühle wie Unsicherheit, Wertlosigkeit oder Antriebsmangel halten uns davon ab, die Schritte zu gehen, von denen wir wissen, dass sie gut für uns wären.
Was es nun braucht ist eine ressourcenorientierte systemische Haltung, die sanft aber bestimmt zu einem Perspektivwechsel einlädt: Anstatt den Fokus auf die Probleme, die Defizite, die unangenehmen Gefühle zu legen, wenden wir uns bewusst dem zu, was gut funktioniert. Wir sammeln positive Momente, wir erinnern uns an bereits gemeisterte andere Herausforderungen, wir lenken die Aufmerksamkeit bewusst auf angenehme Gefühle und begeben uns so auf einen Suchprozess nach unserem inneren, umfassend ausgestatteten Werkzeugraum. Denn, wie Gunter Schmidt im Zitat treffend feststellt:
Jeder Mensch hat alle Ressourcen für Veränderung schon in sich, er muss diese nur (wieder) entdecken und – ganz wichtig – spüren!
Gunther Schmidt
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Begriffsdefinition
Ressourcenorientierung fokussiert auf Stärken, Fähigkeiten und Möglichkeiten statt auf Defizite. Die systemische Arbeit geht davon aus, dass Menschen bereits über alle Ressourcen verfügen, die sie brauchen um ihr Leben erfolgreich zu gestalten und innerlich wachsen zu können.
Unterschieden werden häufig innere und äußere Ressourcen. Im systemischen Kontext erscheint die Untergliederung in innere, relationale und äußere Ressourcen dienlich.
Innere Ressourcen
Diese liegen in Ihnen selbst und umfassen unter anderem:
- Fähigkeiten und Kompetenzen: Wissen, Talente, Fertigkeiten u.a. die Emotionsregulationsfähigkeit
- Persönlichkeitseigenschaften: Optimismus, Humor, Beziehungsfähigkeit, Empathie, Motivation
- Erfahrungen und Erinnerungen: Positive Erlebnisse und Erinnerungen aus der Vergangenheit, gemeisterte Herausforderungen
- Emotionale Zustände: Gelassenheit, Entspannung, Selbstvertrauen
- Ziele und Visionen: Wünsche und positive Vorstellungen von der Zukunft
Relationale Ressourcen
Diese sind zwar außerhalb von uns aber wir haben einen relativ hohen Einfluss sie mit zu gestalten. Hierbei geht es um:
- Soziale Beziehungen (Familie, Freund:innen etc.)
- Professionelle Unterstützung wie Psychotherapie, Beratung und Coaching.
Äußere Ressourcen
Diese beziehen sich auf unsere Umwelt und wir haben weniger Einfluss sie zu gestalten:
- Sozialökologische Ressourcen wie z. B. Wohnumfeld, Qualität der sozialökologischen Infrastruktur, Arbeitsplatzqualität
- Sozialstaatliche und soziokulturelle Ressourcen wie z. B. Zugang zu Bildungs-, Gesundheits- und kulturellen Angeboten, Rechtsstaatlichkeit, Teilhabemöglichkeit
Durch Systemische Fragen und ressourcenorientierte Interventionen wird der Zugang zu diesen Ressourcen freigelegt und Möglichkeitsräume geschaffen, in denen Klient:innen ihre Selbstwirksamkeit (wieder)erleben und neue Lösungen entwickeln können. Dadurch werden neue Ressourcen wie Stressbewältigungskompetenz, Resilienz, persönliches Wachstum und Selbstvertrauen gestärkt.
Auch wenn die Ressourcenorientierung maßgeblich durch bekannte Systemiker:innen verbreitet und erforscht wurde, kommt sie heute wohl in allen therapeutischen Schulen zum Einsatz: Sinngemäß schreibt Dr. phil. Dipl.-Psych. Renate Frank in ihrem Artikel „Die psychotherapeutische Arbeit mit Ressourcen“ in der Fachzeitschrift Psychotherapie im Dialog, Ausgabe 1, 2013:
Wissenschaftlich betrachtet ist die Ressourcenorientierung ein schulenübergreifender Wirkfaktor der Psychotherapie. Sie ist essenziell für die Remoralisierung – also das Wiederherstellen von Hoffnung und Zuversicht bei Klient:innen, die aufgrund ihrer Probleme demoralisiert sind.
vgl. Frank, R., 2023, S. 22 - 24
Pioniere wie Steve de Shazer (Lösungsorientierte Kurztherapie) fragten gezielt nach Ausnahmen von Problemen, um ungenutzte Stärken zu aktivieren. Virginia Satir betonte bereits, dass jeder Mensch ein Reservoir an innerem Potenzial besitzt, das nur darauf wartet, freigelegt zu werden.
Systemische Einordnung & Bedeutung in der Traumatherapie
Im systemischen Arbeiten entfalten Ressourcen ihre Bedeutung stets im Zusammenspiel mit Beziehungen und Kontexten.
Für die Systemische Traumatherapie ist eine ressourcenorientierte Haltung gemäß Martin Sack & Barbara Gromes in ihrem Artikel „Ressourcenorientierte Behandlungsstrategien in der Traumatherapie“ in der Fachzeitschrift Psychotherapie im Dialog, Ausgabe 1, 2013 aus gutem Grund fundamental wichtig:
Stabilisierung als Fundament: Bei Traumafolgestörungen verlieren Betroffene oft das Gefühl von Autonomie und Handlungskompetenz. Nachdem äußere Sicherheit durch einen Abbruch zu Täterpersonen sichergestellt wurde, ist Ressourcenaktivierung der erste und wichtigste Schritt, um eine innere Stabilität und Sicherheit wiederherzustellen. Bevor belastende Erfahrungen verarbeitet werden können, muss ein sicherer, tragfähiger Boden geschaffen werden. Betroffene brauchen ein Gefühl für Ihre Emotionsregulationsfähigkeit, damit es im Rahmen der therapeutischen Arbeit nicht zur Retraumatisierungen kommt.
Gegenpol zur Ohnmacht: Traumatische Erlebnisse führen zu einem Zustand tiefer Hilflosigkeit und Ohnmacht. Der Fokus auf bereits vorhandene Ressourcen wirkt dieser Negativspirale entgegen und stärkt die Überzeugung: „Ich bin handlungsfähig, ich habe etwas überlebt, und ich bringe Kompetenzen mit.“
Würdigung: Therapeut:innen gehen davon aus, dass Symptome oft die bislang beste verfügbare Strategie waren, um ein unlösbares Problem zu bewältigen. Diese würdigende Haltung schafft ein Klima von Akzeptanz und Vertrauen.
Ressourcenorientierung in der Praxis
Ressourcenorientierung ist kein einmaliges Tool, sondern zeigt sich in jedem Gesprächsschritt – in der Haltung, den Fragen und Interventionen:
Blick auf Ausnahmen: Statt lange im Problemraum zu verweilen, wird nach Ausnahmen gesucht: Wann war es schon einmal leichter? Wer oder was hat in diesem Moment gestützt?
Aktivierung des Gegenwartsbezugs: Besonders in der Traumatherapie geht es darum, den Körper in die Gegenwart zurückzuholen. Achtsamkeitsübungen, das bewusste Spüren des Atems oder die Wärme in den Händen werden so zu „Werkzeugen“ der Selbstregulation, die auch in Phasen innerer Anspannung verfügbar bleiben.
Transparenz und Wahl: Die Therapie wird als ein sicherer Ort gestaltet, in dem Klient:innen stets die Wahl haben (vgl. Sack & Gromes, 2013 ebd.). Das Wiedererlangen der Kontrolle ist selbst eine entscheidende Ressource.
Beispiel
Disclaimer: Alle Beispiele sind frei erfunden und zum Zwecke der Begriffserläuterung konstruiert. Sie bilden weder die Wirklichkeit noch die Komplexität der menschlichen Psyche ab, da sie einseitig einen Begriff in den Fokus nehmen. Schaubilder wurden entweder eigens für die Fälle erstellt oder inhaltlich maßgeblich verfremdet.
Situation
Lea, 24 Jahre alt, studiert und leidet seit Jahren unter sozialer Angst. Gruppenarbeiten versucht sie zu vermeiden, Referate machen ihr schon Tage vorher schlaflose Nächte. „Ich bin unsichtbar oder peinlich“, beschreibt sie sich selbst. In einer Sitzung erzählt sie nebenbei, dass sie in Einzelgesprächen oft als Erste merkt, wenn jemand bedrückt wirkt. In ihrer WG gilt sie als die Humorvolle, die Pausenrituale einführt, wenn die Stimmung kippt.
Systemische Interventionen
Alle Scheinwerfer auf vorhandene Ressourcen
In der Therapie greifen wir den Faden auf und bleiben bei dem, was Lea bereits mitbringt. Statt lange über die Angst zu sprechen, frage ich sie nach Momenten, in denen es leichter war. Ich interessiere mich für ihr Empathievermögen und ihren Humor und lade Sie ein, sich dieser Stärken, die in vertrauten Situationen sichtbar werden, bewusst zu werden. Gemeinsam überlegen wir, was es braucht, damit diese Eigenschaften sich auch in Situationen zeigen können, in denen Lea bisher von Ihrer Angst dominiert wurde. Dazu machen wir eine Aufstellung mit verschiedenen Materialien.
Die Visualisierung unterstützt Lea dabei, mit Abstand und einem erweiterten Blick ihre Ressourcen auf der einen Seite und „das was fehlt“ auf der anderen Seite, wahrzunehmen. Sie bleibt dabei „außen vor“ und wird nicht zu sehr in Ihrer Gefühle hineingezogen. Dadurch fällt es ihr leichter eine Lösung zu entwickeln: Um sich zu stabilisieren, reibt sie die Hände aneinander, kann die Wärme spüren und dabei bewusst den Kontakt zum Boden wahrnehmen. Diese Übung hilft ihr sich selbst zu spüren und im „Hier und Jetzt“ zu bleiben und nicht von der Angst überrollt zu werden. Sie bleibt handlungsfähiger und ist damit in der Lage, weitere Ressourcen zu aktivieren: Sie bespricht sich mit einer Kommilitonin der sie vertraut, und bittet sie bei Bedarf für einen beruhigenden Blickkontakt zur Verfügung zu stehen, den sie als Anker nutzen kann.
Was nimmt Lea mit?
Vier Wochen später beschreibt Lea, dass ihre Angst nicht verschwunden sei – aber sie erlebe zunehmend Momente, in denen sie trotz Anspannung handlungsfähig bleibe. Aus der Geschichte „ich halte das nicht aus“ wird langsam die Geschichte „ich finde Wege, mit meiner Angst umzugehen“.
Je häufiger Lea Erfahrungen dieser Art macht, umso selbstwirksamer erlebt sie sich. Je mehr Ressourcen Lea hat, desto mehr kann sie damit entwickeln oder metaphorisch ausgedrückt: mit einem Werkszeug, können wir weitere Werkzeuge erzeugen und solange wir nicht vergessen, wo wir unsere Werkzeuge ablegen, können wir das gleiche Werkzeug auch in unterschiedlichen Situationen nutzen.
In diesem Sinne: ein Hoch auf Ihre Ressourcen!
Sollten Sie gerade den Schlüssel zu ihrem Werkzeugraum verlegt haben oder ist dort drinnen das Licht ausgefallen und der Akku für die Taschenlampe ist alle? Kurz gesagt: fühlt es sich so an als sei „alles und jeder gegen Sie“? Vielleicht sogar Sie selbst eingeschlossen? Dann nutzen Sie eine Ressource, die in jedem Fall vorhanden ist: Ihre Fähigkeit sich Unterstützung zu holen.
Ich begleite Sie auf Ihrem Prozess und ich verspreche Ihnen: es geht nicht darum Schwierigkeiten und Herausforderungen weg zu reden oder zu bagatellisieren. Aber es geht darum aus dem Tunnel herauszutreten, den Blick zu erweitern und neben den belastenden Geschichten auch die Geschichten des Gelingens zu hören. Manchmal sind es kleine Schritte, die schon spürbar machen, dass Veränderung möglich ist – getragen von dem, was längst in Ihnen ist.
Ich freue mich auf Ihre Geschichten.
Herzlich Ihre
Lilly Maus